Industrielle Wertschöpfungssysteme im Wandel

26.10.25

Industrielle Wertschöpfungssysteme stehen vor einem tiefgreifenden Wandel. Erfahren Sie, wie deutsche Unternehmen Kreislaufwirtschaft, KI, Ökosysteme und die Rolle des Menschen neu denken – und welche Handlungsfelder jetzt von entscheidender Bedeutung sind.

Einleitung

Die deutsche Industrie steht an einem Scheideweg: Geopolitische Spannungen, Klimaziele und digitale Technologien verändern die Spielregeln. Traditionelle Produktionsketten werden zunehmend durch flexible, vernetzte Systeme ersetzt, in denen Nachhaltigkeit, Daten und Kooperation im Mittelpunkt stehen. Doch wie genau kann dieser Wandel gelingen?

In einem gemeinsamen Projekt haben das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO mit zwölf führenden Industrieunternehmen die Zukunft der Wertschöpfung analysiert. Der Ergebnisbericht zeigt: Es gibt vier Handlungsfelder, die darüber entscheiden, ob Unternehmen auch im Jahr 2035 noch wettbewerbsfähig sind. Dieser Artikel fasst die zentralen Erkenntnisse zusammen und erklärt, was Sie daraus für Ihr eigenes Business ableiten können.

Warum sich industrielle Wertschöpfungssysteme sich jetzt neu erfinden müssen

Die Herausforderungen sind bekannt: Lieferketten brechen zusammen, Rohstoffe werden knapper, und Kunden fordern nachhaltige Produkte. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung jedoch auch neue Chancen. Die Lösung liegt nicht in einzelnen Maßnahmen, sondern in einem „systemischen Wandel“. Drei Treiber beschleunigen diese Entwicklung:

  1. Technologische Innovationen: Künstliche Intelligenz, digitale Zwillinge und autonome Systeme ermöglichen eine bisher unerreichte Transparenz und Effizienz.
  2. Gesellschaftliche Erwartungen: Verbraucher und Politik verlangen klimaneutrale Produktion, faire Arbeitsbedingungen und zirkuläre Geschäftsmodelle.
  3. Geopolitische Verschiebungen: Handelskonflikte und regionale Instabilitäten zwingen Unternehmen dazu, ihre Abhängigkeiten zu reduzieren und lokale Netzwerke aufzubauen.

Die vier Handlungsfelder für zukunftsfähige Wertschöpfung

Null Verbrauch: Vom Abfall zur Ressource

Das Ziel ist eine „Total Circular Economy“, in der alle Materialien vollständig wieder verwertet werden.

Umsetzung:

  • Design for Disassembly: Produkte werden von Anfang an so konstruiert, dass sich ihre Komponenten leicht trennen, reparieren oder recyceln lassen. Beispiele hierfür sind modulare Smartphones oder wiederverwendbare Verpackungen.
  • Strategische Rohstoffrückgewinnung: Unternehmen wie Wilo entwickeln Technologien, um seltene Metalle aus Altgeräten zurückzugewinnen. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern schafft auch neue Geschäftsmodelle, wie etwa Leasing statt Verkauf.
  • Kreislauf-Geschäftsmodelle: Anstatt Einwegprodukte zu verkaufen, bieten Hersteller Services an (z. B. „Pay-per-Use“ für Maschinen). Dadurch wird die Nutzungsdauer verlängert und der Ressourcenverbrauch reduziert.

Beispiel aus der Praxis:

„Rohstoffsouveränität erfordert Technologien, die das vollständige Recycling strategischer Rohstoffe ermöglichen – diese müssen wir jetzt entwickeln“ (Christian Berger, Wilo SE).

Herausforderung:

Viele Unternehmen scheitern noch an der Umsetzung, weil es entweder an Standards für zirkuläres Design fehlt oder die Rücknahme-Logistik zu komplex ist. Hier sind einheitliche Regularien und branchenübergreifende Kooperationen gefragt.

Kundenzentrierte Ökosysteme: Vom Hersteller zum Orchestrator

Das Ziel besteht darin, dass Unternehmen nicht mehr nur ihre eigene Produktion steuern, sondern ganze Netzwerke – inklusive Zulieferer, Kunden und sogar Wettbewerber.

Umsetzung:

  • Plattformökonomie: Hersteller wie Miele oder Thyssenkrupp bauen digitale Plattformen auf, auf denen Kunden, Partner und Dienstleister zusammenarbeiten. Das ermöglicht maßgeschneiderte Lösungen und beschleunigt Innovationen.
  • Ko-Kreation mit Kunden: Nutzer werden in die Produktentwicklung einbezogen, beispielsweise durch Feedback-Tools oder Open-Innovation-Projekte.
  • Daten als Treibstoff: Unternehmen erkennen durch Echtzeit-Daten aus der Produktnutzung frühzeitig Trends und passen ihr Angebot entsprechend an.

Beispiel aus der Praxis:

„Eine zukunftsfähige Wertschöpfung entsteht durch Kreislaufprinzipien und Geschäftsmodelle, die auf Wiederverwendung statt Verschwendung setzen“ (Thorsten Westermann, Miele & Cie. KG).

Herausforderung:

Für die Orchestrierung komplexer Ökosysteme sind „klare Spielregeln“ erforderlich, beispielsweise für den Datenaustausch, die Haftung und die Gewinnverteilung. Viele Unternehmen zögern jedoch noch, da sie ihre traditionelle Rolle als „reiner Produzent“ nicht infrage stellen wollen.

Daten und KI: Das neue Fundament der Wertschöpfung

Das Ziel besteht darin, manuelle Prozesse durch automatisierte Datenflüsse und KI-Systeme zu ersetzen und somit vorausschauende Entscheidungen zu ermöglichen.

Umsetzung:

  • Digitale Zwillinge: Virtuelle Abbilder von Produkten und Fabriken ermöglichen die Simulation von Szenarien – von der Wartung bis zur Lieferkette. Dadurch werden Ausfallzeiten reduziert und der Ressourceneinsatz optimiert.
  • KI-gestützte Planung: Algorithmen analysieren Markttrends, Wetterdaten oder Social-Media-Feeds, um Produktion und Logistik in Echtzeit anzupassen.
  • Natürlichsprachliche Interfaces: Mitarbeiter können Systeme per Sprachbefehl fragen, zum Beispiel: „Welche Lieferengpässe drohen nächste Woche?”

Beispiel aus der Praxis:

„Daten und KI werden zu geräuschlosen Befähigern: Sie machen komplexe Zusammenhänge sichtbar und ermöglichen Unternehmen agile Reaktionen“ (Blog „Künstliche Intelligenz erfolgreich in Unternehmen integrieren“, Motif Transformation Institute).

Herausforderung:

Viele Mittelständler scheuen die Investitionen in KI oder scheitern an der schlechten Datenqualität. Abhilfe schaffen hier „Low-Code-Plattformen“ und „Starter-Kits“ für KI-Anwendungen, die ohne tiefes IT-Know-how nutzbar sind.

Die Rolle des Menschen: Vom Ausführer zum Gestalter

Das Ziel besteht darin, dass die Technologie Routineaufgaben übernimmt, während sich der Mensch auf Kreativität, Strategie und soziale Interaktion konzentriert.

Umsetzung:

  • Neue Kompetenzprofile: Gefragt sind Fähigkeiten wie kritisches Denken, interdisziplinäre Zusammenarbeit und der Umgang mit KI-Tools.
  • Dynamische Rollen: Mitarbeiter wechseln je nach Projekt zwischen Aufgaben – mal als Datenanalyst, mal als Kundenberater.
  • Lebenslanges Lernen: Unternehmen wie MTI bilden ihre Teams in „Future Skills“ weiter, etwa in agilen Methoden oder nachhaltigem Design.

Beispiel aus der Praxis:

„Mensch und KI müssen ihre Rollen neu finden. Wer trägt die Verantwortung – für Überwachung oder für Ausführung?“ (Karsten Radtke, thyssenkrupp Uhde GmbH).

Herausforderung:

Die Angst, durch Automatisierung den Job zu verlieren, ist groß. Erfolgreiche Unternehmen betonen deshalb: Technologie ersetzt keine Arbeitsplätze, sondern verändert sie – hin zu anspruchsvolleren Tätigkeiten.

Was Unternehmen jetzt tun müssen: Drei konkrete Schritte

Pilotprojekte starten

Testen Sie in einem Geschäftsbereich Kreislaufmodelle, beispielsweise durch ein Rücknahmeprogramm für Altgeräte oder ein Pay-per-Use-Angebot.

Partnerschaften eingehen

Kooperieren Sie mit Startups, Forschungseinrichtungen oder Wettbewerbern, um Wissen aufzubauen (z. B. in Konsortien wie der „Plattform Industrie 4.0“).

Kultur ändern

Fördern Sie eine Fehlerkultur, die Experimente erlaubt, und schaffen Sie Anreize für nachhaltiges Handeln (z. B. Boni für ressourcenschonende Lösungen).

Aktuelle Entwicklungen: Was die Daten sagen

Laut dem Sachverständigenrat für Wirtschaft werden klassische Fertigungsberufe bis 2025 an Bedeutung verlieren, während die Nachfrage nach Dienstleistungs- und KI-Kompetenzen steigt. Gleichzeitig belasten Handelskonflikte und Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit. Doch es gibt auch gute Nachrichten:

  • Förderprogramme: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle, beispielsweise durch das Programm „Zukunft der Wertschöpfung“.
  • Erste Erfolge: Unternehmen, die früh auf Kreislaufwirtschaft setzen, verzeichnen bis zu 20 % geringere Materialkosten und eine höhere Kundenbindung (Quelle: Fraunhofer IAO, 2025).

Fazit: Das sind die vier Erfolgsfaktoren für den Wandel

  1. Kreisläufe schließen: Setzen Sie auf Wiederverwertung und modulare Produkte.
  2. Ökosysteme gestalten: Werden Sie zum Orchestrator statt nur zum Produzenten.
  3. Daten nutzen: Automatisieren Sie Entscheidungen mithilfe von KI und digitalen Zwillingen.
  4. Mitarbeiter qualifizieren: Bauen Sie Kompetenzen für die Zusammenarbeit mit KI auf.

Der Wandel der industriellen Wertschöpfung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Wer jetzt handelt, kann sich jedoch Kostenvorteile, neue Märkte und Krisenresilienz sichern. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren, wenn Sie Unterstützung zum Thema Wandel der industriellen Wertschöpfung benötigen. Bleiben Sie neugierig!

FAQ zum Wandel der Wertschöpfung

Im Folgenden finden Sie Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Thema Selbstreflexion.

Lohnt sich Kreislaufwirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)?

Ja – selbst einfache Maßnahmen wie die Wiederverwendung von Verpackungen oder die Kooperation mit lokalen Recyclern senken Kosten und stärken die Kundenbindung. Förderprogramme wie „EGARoh_Junior“(https://www.foerderinfo.bund.de/) helfen bei der Finanzierung.

Wie finde ich die richtigen Partner für ein Ökosystem?

Nutzen Sie Branchenverbände, Messen oder Plattformen wie „Catena-X“, um Gleichgesinnte zu finden. Wichtig ist, klare Ziele zu definieren – etwa gemeinsame Standards oder Pilotprojekte.

Was tun, wenn die Belegschaft skeptisch ist?

Zeigen Sie konkrete Vorteile auf – etwa weniger Stress durch Automatisierung oder neue Karrierechancen. Schulungen in „Future Skills“ (z. B. Datenkompetenz) erhöhen die Akzeptanz.

Wie bleibe ich trotz Digitalisierung datensouverän?

Setzen Sie auf dezentrale Datenplattformen (z. B. Gaia-X) und klären Sie im Vorfeld, wer Zugriff auf welche Daten hat. Rechtliche Beratung hilft, Compliance-Risiken zu minimieren.

Welche konkreten KI-Anwendungen eignen sich für den Einstieg in die digitale Wertschöpfung?

Für den Einstieg empfehlen sich drei praxisnahe Anwendungen:

  1. Predictive Maintenance: KI analysiert Sensordaten von Maschinen und warnt vor Ausfällen – das reduziert Stillstandszeiten um bis zu 30 %.
  2. Nachfrageprognosen: Algorithmen werten historische Verkaufsdaten und Markttrends aus, um Lagerbestände und Produktion zu optimieren.
  3. Chatbots für Kundenservice: KI-gestützte Assistenten beantworten Standardfragen und entlasten das Service-Team.

Tipp: Nutzen Sie vorgefertigte Lösungen von Cloud-Anbietern wie IONOS oder Hostinger, die ohne tiefes KI-Know-how einsetzbar sind.

Wie vermeide ich, dass KI-Systeme in der Wertschöpfung zu „Black Boxes“ werden?

Antwort: Transparenz ist entscheidend – setzen Sie auf erklärbare KI (XAI):

  • Wählen Sie Modelle, die Entscheidungen nachvollziehbar machen (z. B. Entscheidungsbäume statt neuronaler Netze).
  • Schulen Sie Mitarbeiter im Umgang mit KI-Tools, damit sie Ergebnisse hinterfragen können.
  • Dokumentieren Sie Datenquellen und Algorithmen, um Compliance-Anforderungen (z. B. DSGVO) zu erfüllen.

Beispiel: Das Fraunhofer IAO bietet Schulungen zur KI-Transparenz (https://www.iao.fraunhofer.de/) für Unternehmen an, um Vertrauen in die Technologie aufzubauen.

Quellen:

  1. Fraunhofer IAO/ISST: „Zukunft industrieller Wertschöpfungssysteme“ (2025), (https://www.iao.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/aktuelles/zukuenftige-handlungsfelder-industrieller-wertschoepfungssysteme.html)
  2. Sachverständigenrat für Wirtschaft: Frühjahrsgutachten 2025
  3. BMBF: Fachprogramm „Zukunft der Wertschöpfung“

Über den Autor

Dr. Stefan Bleses

Als Systemanalytiker, Betriebspädagoge und Transformationsdesigner arbeite ich mit meinem Team leidenschaftlich daran, Organisationen und Menschen für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. Schreibt die Welt nicht ab! Schreibt sie neu.

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